Frank-Walter Steinmeier

Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland

Frank-Walter Steinmeier, Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland (Bild: Bundesregierung/Steffen Kugler)

Vor vierzig Jahren, im Februar 1982, haben die deutschen Sinti und Roma einen Zentralrat gegründet, um gemeinsam für ihre Bürgerrechte einzutreten und ihren Anliegen mehr Gehör zu verschaffen. Seitdem hat Ihr Verband, haben Sie alle viel erreicht für die nationale Minderheit der Sinti und Roma, und Sie haben einen wichtigen Beitrag geleistet für ein gutes Miteinander der verschiedenen und gleichberechtigten Menschen in unserem Land.

Das vierzigjährige Bestehen des Zentralrats ist ein Grund zum Feiern für die deutschen Sinti und Roma, aber es ist auch ein Grund zur Freude und zur Dankbarkeit für alle Bürgerinnen und Bürger unserer Republik. Hier aus Bellevue in Berlin meinen herzlichen Glückwunsch zu diesem besonderen Jubiläum!

Ihr Verband ging aus einer Bürgerrechtsbewegung hervor, die nicht zuletzt dafür stritt, dass die von den Nationalsozialisten begangenen Verbrechen an den Sinti und Roma offiziell als Völkermord anerkannt wurden – ein Völkermord, dem in Europa eine halbe Million Menschen zum Opfer fielen, davon mehr als 20.000 in Deutschland.

Unser Land steht in der Verantwortung, die Erinnerung an die Menschheitsverbrechen der Nationalsozialisten wachzuhalten. Das Denkmal, das hier in Berlin an die zwischen 1933 und 1945 ermordeten Sinti und Roma Europas erinnert, ist ein ständiger Auftrag an Staat und Gesellschaft.

Wir dürfen nicht vergessen, weil nie wieder geschehen darf, was damals geschehen ist. Wir müssen dafür sorgen, dass die Geschichten der verfolgten Sinti und Roma und ihrer Nachkommen lebendig bleiben, auch wenn es keine Zeitzeugen und Zeitzeuginnen mehr gibt, die davon berichten können, wie die großartige Zilli Schmidt, der ich im vergangenen Jahr den Verdienstorden unseres Landes verleihen durfte. Und wir müssen neue Wege gehen, um junge Menschen aus allen Teilen der Gesellschaft dafür zu gewinnen, sich auch mit diesem Kapitel der deutschen Geschichte auseinanderzusetzen.

Die Erinnerung führt uns auch vor Augen, dass rassistisch motivierte Ressentiments nach der Befreiung Europas vom Nationalsozialismus nicht einfach aus unserem Land verschwunden waren. Auch in der jungen Bundesrepublik erlebten Sinti und Roma Ausgrenzung und Herabwürdigung; Behörden, Polizei und Justiz diskriminierten, stigmatisierten oder kriminalisierten Angehörige der Minderheit; in Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit wurde der Völkermord an den Sinti und Roma verschwiegen, verleugnet oder verdrängt; Ansprüche auf Entschädigung wurden lange, viel zu lange nicht anerkannt.

Auch für dieses zweite Leid, das den Sinti und Roma in der Nachkriegszeit angetan wurde, will ich heute im Namen unseres Landes um Vergebung bitten. Und ich will Ihnen sagen, wie dankbar ich für das demokratische Engagement des Zentralrats bin und wie viel Respekt ich davor habe. Denn es ist eben alles andere als selbstverständlich, dass die deutschen Sinti und Roma in den vergangenen vier Jahrzehnten nicht nur für ihre Rechte und Interessen gestritten haben, sondern dabei immer auch für Dialog, Verständigung und Versöhnung eingetreten sind. Dafür meinen herzlichen Dank!

Es ist Ihnen und Ihrer Beharrlichkeit zu verdanken, dass die Sinti und Roma in Deutschland seit 1995 als nationale Minderheit anerkannt sind, ebenso wie Dänen, Friesen und Sorben. Es ist Ihr Verdienst, dass die vielfältige, jahrhundertealte Kultur der Sinti und Roma heute an vielen Orten unseres Landes sichtbar und hörbar ist. Vor allem bringen Sie die verschiedenen Menschen unserer Gesellschaft immer wieder zusammen, Sie fördern den Austausch und helfen auf diese Weise mit, Klischees und Vorurteile zu überwinden, Verständnis und Respekt wachsen zu lassen.

Wie wichtig das ist, das wissen Sie alle aus eigener Erfahrung. Auch heute noch erleben Sinti und Roma in unserem Land Diskriminierung und Ausgrenzung – in der Kita und in der Schule, in Behörden und bei Ärzten, bei der Bewerbung um eine Arbeitsstelle oder eine Wohnung. Und heute wieder vermehrt werden sie Opfer von rassistisch motiviertem Hass und brutaler Gewalt, besonders in Ländern Mittel- und Osteuropas, aber auch bei uns; ich erinnere nur an den schrecklichen Mordanschlag in Hanau, bei dem im Februar 2020 auch drei junge Roma starben und ein Sinto verletzt wurde. Ich bin dankbar, dass Mehmet Daimagüler nun seine Arbeit als erster Antiziganismus-Beauftragter der Bundesregierung aufnehmen kann, und ich hoffe, dass er die nötige Unterstützung erhält, um etwas bewegen zu können.

Lassen Sie uns als Bürgerinnen und Bürger dieses Landes gemeinsam für ein gutes Miteinander in Vielfalt streiten! Und lassen Sie uns gemeinsam eintreten gegen Antiziganismus, Antisemitismus und jede Form des Rassismus, gegen Menschenfeindlichkeit, wo auch immer sie uns begegnet und gegen wen auch immer sie sich richtet.

Sie alle im Zentralrat der Deutschen Sinti und Roma können stolz darauf sein, dass Sie unsere Gesellschaft zum Besseren verändert haben. Und wir alle in diesem Land können froh und glücklich darüber sein, dass es Sie gibt. Bitte bleiben Sie kritisch und engagiert, auch in den kommenden vierzig Jahren. Ihnen alles Gute – und herzlichen Dank!